Sonntag, 9. August 2009

Fundis oder Realos - Prioritäten und Klarheit

In den frühen Jahren der Bundesrepublik Deutschland gab es in der Politik führende Persönlichkeiten, die waren teilweise auch in einer Partei oder eine Partei stellt diese Persönlichkeiten auf ihren Wahllisten auf. Die Personen waren in erster Linie diese Person (was man heute wohl "authentisch" nennt), erst nachrangig waren sie Parteimitglieder, selten willenlose oder willige Befehlsempfänger oder "Parteisoldaten". Entscheidungen, die von diesen Personen im Rahmen ihres Amtes getroffen wurden, färbten auf die Partei ab, weniger färbten die Parteibeschlüsse auf die Handlungen dieser Personen ab. Machte die Person Fehler, so musste die Person dafür die persönliche Verantwortung übernehmen ("zurücktreten") - Im schlimmsten Fall wurde die Person aus dem Amt entfernt.

Heute scheinen solche Personen nicht mehr in führenden Positionen anzukommen. Es zählt die Parteikarriere, die Seilschaft, die Kreise - aber immer zählt die Parteiräson! Ich mache das am Verhalten der SPD unter ihrem Vorsitzenden Lafontaine fest: Als im Bundesrat die Möglichkeit bestand, durch entsprechende SPD-Länderregierungen der CDU-FDP-Bundesregierung und Bundestagsmehrheit durch eine Blockade die weitere Politik unmöglich zu machen, wurde dies von Lafontaine erdacht, angekündigt, durchgeführt und vertreten. Da erhob sich die SPD mit ihren Wahlkampfinteressen über das gesetzliche Organ Bundesrat, über die Interessen der Länder und die Interessen des Bundestages, über die Interessen der Bürger sowieso hinweg.

Die Entscheidungswege sind dementsprechend: Der Parteivorsitzende oder ein Kandidat sagt zu irgendeinem Thema irgendein Statement, meist sogar sinnvoll und/oder richtig. Sofort werden Teile aus dem Zusammenhang herausgerissen, im Sinn verdreht oder verkürzt ("Emser Depesche RELOADED") in alle möglichen Medien (klassische, genauso wie moderne) als "DIE Parteimeinung" hinausposaunt.

Stellt man einem solchen Parteimitglied eine klare Frage, die vielleicht sogar mit "ja" oder "nein" zu beantworten wäre, erhält man eine Antwort auf der vermeindlichen Parteilinie, aber man erhält keine persönliche Antwort. Vielleicht bekommt man unter der Hand ("off the record") gesagt, was "persönlich" (!!!) gedacht wird, sobald man aber an eine (vermeindliche oder tatsächliche) Öffentlichkeit geht, ist es vorbei. Hier wirkt eine internalisierte Schere, eine Parteizensur, die deutsche Frage: "Darf ich das sagen? Ist das noch Parteilinie?"

Parteien müssen ja demokratisch sein, die parteiliche Willensfindung muss demokratisch erfolgen. Es beginnt mit Ortsvorständen, Kreisen, Bezirken, Landesverbänden und dem Bundesverband. Idealtypisch wird eine Idee als "Antrag" im Ortsverband geboren, im Ortsverband verhandelt, formuliert und zugestimmt, dann wird der Antrag an die nächsten Ebenen weitergereicht und jedesmal neu verhandelt, abgerundet und angenommen, bis er auf der Bundesebene ankommt.
Da Parteitage der jeweiligen Gliederungsebene ja mit den jeweiligen Partei-"Delegierten" besetzt werden, können diese nicht nur auf die Einbringung von Anträgen ihrer Gliederung verzichten, sondern sie können auch eigene Anträge auf dieser (höheren oder höchsten) Ebene einbringen, unabhängig was "an der Basis" gewollt oder gewusst wird.
Zusätzlich erfolgt keine Feedback, a) was aus den Anträgen der eigenen Gliederung wurde, b) noch welche Anträge andere Gliederungen der gleichen Ebene beim übergeordneten Parteitag eingebracht haben. Die übergeordneten Ebenen verteilen die jeweiligen Antrags-"Bücher" nicht unter den zugehörigen Mitgliedern (obwohl heute die Anträge teilweise über das WWW durchaus verfügbar sind), sondern nur unter den Delegierten ("Aufwand und Kosten sparen"?) und den Funktionsträgern ("Funktionären"). Die Endfassungen der Anträge ("Beschlüsse") werden ebenso behandelt - Intransparenz ohne Ende. Da fällt es leicht, einem den Funktionärselite mißliebigen Antrag mal eben ohne Aufsehen zu beerdigen, vergl. den ablehnenden "Zensursula"-Antrag beim letzten SPD-Bundesparteitag, über den nicht abgestimmt wurde!

Andererseits werden viele Entscheidungen unabhängig von "der Beschlusslage" getroffen. Es kann ja auch nicht alles durch einen (mehrstufigen) Parteitag gejagt werden. Es treten Gruppen zusammen, die für sich selbst sprechen, z.B. Landesfachausschüsse oder Fraktionen und auch entscheiden müssen. Damit schließt sich m.E. der Kreis der Intransparenz: Ist eine Person inzwischen in mehreren / vielen Funktionen und Posten tätig, erschließt sich selbst dem geneigten Zuhörer nicht immer, in oder für welche Funktion oder welche Gruppe hier gesprochen wird. Spricht der Parteivorsitzende und der bisherige Fraktionsvorsitzende für die Partei oder die Fraktion? Muss er sich vorher abstimmen oder ist er der Anführer, dem die ganze Gruppe folgen will und folgen wird? Was kann in einer Vorstandssitzung beschlossen werden? Muss der Vorstand dafür die jeweiligen Mitglieder befragen? Reicht ein Meinungsbild des um ausgesuchte Funktionäre erweiterten Landesvorstand? Wie sind die Protokolle den Mitgliedern zur Verfügung zu stellen?

Kann eine Partei auf die Mandatsträger Druck ausüben, z.B. eine vorher bestrittene Koalition einzugehen oder einem zugestimmten Gesetz wieder den Garaus zu machen? Ist das mit der Gewissensfreiheit des Abgeordneten vereinbar?

Passt die Beschlußlage zum Willen des Abgeordneten, gibt es kein Problem. Passt sie nicht, wird es schrecklich. Neben den offiziellen Möglichkeiten und legitimen Wegen werden auch immer wieder "andere Wege" gesucht und gefunden. Glauben diese Leute, das Mitglied, die Presse und der Bürger würde das nicht merken? Wird der Bürger, Wähler, Parteifreund, der politische Gegner dafür Verständnis haben oder ist es ein weiterer Beitrag zur Politik(er)müdigkeit oder -abscheu?

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